Ordentliche Gerichtsbarkeit bei der Justiz.NRW
Vom Rechtspfleger zum Richter zum Vorsitzenden des Hauptrichterrats: Prof. Dr. Gerd Hamme hat im Beruf immer nach mehr gestrebt. Sein Antrieb war jedoch weniger die Faszination für Rechtstexte als der Einblick in neue, spannende Lebensbereiche.
Mein Weg zur Justiz begann mit einem Ausschlussverfahren. Ich bin mit zwölf Geschwistern aufgewachsen und für meine Eltern war es nicht einfach, jedem von uns ein Studium zu ermöglichen. Also habe ich mich dafür entschieden, ein vergütetes Duales Studium zu absolvieren. Nach drei Bewerbungsgesprächen standen drei Optionen zur Auswahl: beim Arbeitsamt, Finanzamt oder in der Justiz. Für Zahlen hatte ich nie so viel übrig und das Arbeitsamt hat mich auch nicht wirklich brennend interessiert. Also hat sich mein Bauchgefühl für die Justiz entschieden. Und diesem Bauchgefühl bin ich bis heute sehr dankbar.
„Gesetze sind nur Werkzeuge.“
Ich habe sofort gemerkt, dass ich die richtige Wahl getroffen hatte. Mein Duales Studium hat mir viel Spaß gemacht. Das lag aber nicht daran, dass ich Gesetzestexte besonders spannend gefunden hätte. Gesetze sind bloß Werkzeuge. Nein, das lag an den Menschen, um die es in jeder Akte und jedem Verfahren geht. Ich habe früh Einblicke in Lebensbereiche und Realitäten bekommen, die sich deutlich von meinen eigenen Erfahrungen und Umständen unterscheiden. Auch deshalb war ich von der Juristerei so begeistert, dass ich gegen Ende der Rechtspflegerausbildung mehr wollte. Meine Dozentinnen und Dozenten an der Fachhochschule für Rechtspflege haben mich darin bestärkt und mir Empfehlungen für ein Stipendium für ein Jura-Studium geschrieben, das ich dann auch begonnen habe. Und es war genau das Richtige für mich.
Nach dem ersten Staatsexamen habe ich während des Referendariats nebenbei in einer Anwaltskanzlei gearbeitet und es sah lange danach aus, als würde ich meine Karriere dort beginnen. Dann habe ich mein zweites Staatsexamen so gut bestanden, dass auch eine Zukunft als Richter bei der Justiz möglich war. Ich habe dem Angebot und den Lockrufen der Kanzlei widerstanden und wurde Richter. Diese Entscheidung habe ich nicht einen Tag bereut.
„Das Leben verteilt die Karten nicht immer fair.“
Als Richter muss ich keine einseitigen Interessen vertreten, sondern bin nur an Recht und Gesetz gebunden. Zu meinen Aufgaben gehört es zum Beispiel, im Gerichtssaal für alle eine respektvolle Atmosphäre zu schaffen – nicht nur für die Opfer, sondern auch für die Täterinnen und Täter. Denn ich beurteile nur ihre Taten, nicht ihre Persönlichkeit. Und kein Urteil kann und darf einem Menschen seine Würde nehmen. Eine Sache, die ich in meinen vielen Jahren als Richter gelernt habe, ist, dass das Leben die Karten nicht immer fair verteilt. Das ist natürlich keine Entschuldigung für Straftaten, aber es hilft zu verstehen. Und es hat mich gelehrt, Menschen nicht vorzuverurteilen.
„Man muss offen bleiben.“
Eine Geschichte hat mir das ganz deutlich vor Augen geführt. Ich war Strafrichter am Schöffengericht und sollte ein Verfahren gegen drei Mitglieder einer kriminellen Organisation leiten. Der Strafverteidiger des Hauptangeklagten hatte unter uns Richtern einen schwierigen Ruf, weil er bekannt dafür war, Verfahren zu verzögern. Zwei Wochen vor dem angesetzten Verhandlungstermin rief mich eben dieser Anwalt an und sagte, sein Mandant wäre vermutlich schwer krank und sei nicht verhandlungsfähig. Ich war sicher, er wollte das Verfahren durch dieses Manöver verschleppen. Nach einigem Hin und Her habe ich den Termin aufgehoben und eine Untersuchung beim Kardiologen veranlasst, um im Anschluss an die Untersuchung schnell neu terminieren zu können. Die Diagnose des Kardiologen lautete dann: Der Angeklagte benötigt sofort ein neues Herz. Und kaum zwei Monate später war er tot.
Ich denke auch heute noch sehr oft an diese Geschichte. Denn sie erinnert mich daran, mir meiner Vorurteile bewusst zu sein und immer offen zu bleiben.